Mittwoch, 12. September 2018
Umverteilung
Allgemein wird es als Aufgabe des Sozialstaats bzw. des Wohlfahrtsstaats angesehen, für eine Umverteilung des Reichtums von oben nach unten zu sorgen. Dazu gibt es zum Beispiel bei der Einkommensbesteuerung die Progression, wonach Menschen mit sehr hohem Einkommen einen höheren Prozentsatz Steuern auf das Einkommen zahlen als Menschen mit sehr niedrigem Einkommen.

Obwohl es solche Regelungen gibt, sind in den letzten Jahrzehnten die Einkommen der oberen Schichten deutlich stärker gestiegen als diejenigen der unteren Schichten. Die jetzige Bundesregierung hat zwar einige Maßnahmen ergriffen, die für eine gewisse Umverteilung sorgen sollen, etwa die Wiedereinführung der Parität bei der Krankenversicherung. Parallel dazu gibt es aber auch Maßnahmen wie das Baukindergeld, von denen eher mittlere Schichten profitieren. Alles in allem führen diese Maßnahmen nicht dazu, dass eine Umverteilung von ganz oben nach ganz unten stattfindet, sondern es findet eher ein "trickle-down", ein "Durchtropfen" des Reichtums von oben nach unten statt, von dem die untersten Schichten zwar auch profitieren, jedoch in geringerem Maße als die darüber liegenden.

Eine realistische, finanzierbare Maßnahme, die eine solche sinnvolle Umverteilung von ganz oben nach ganz unten schaffen würde, wäre ein Grundeinkommen in Höhe von 500-600 Euro, wenn es kombiniert würde mit einer Steuerreform, die vor allem sehr hohe Einkommen sowie Einkommen aus Kapital und Vermietung stärker besteuern würden. Parallel dazu bräuchte es ergänzend Sozialleistungen für diejenigen, die nicht in der Lage sind, selbst etwas zu diesem Grundeinkommen dazu zu verdienen.

Simulationsrechnungen in Finnland hatten vor ca. zehn Jahren ergeben, dass bei einem solchen Grundeinkommen (damals lag der Wert bei 400-500 Euro) kombiniert mit der Erhöhung des Spitzensteuersatzes und seiner Ausweitung auf Kapital- und Mieteinkünfte zu einer Belastung der oberen zwanzig Prozent, aber zu einer Verbesserung des Einkommens der unteren zwanzig Prozent führen würde. Die 60 Prozent dazwischen blieben weitgehend unberührt, da Steuererhöhungen und neues Grundeinkommen sich halbwegs ausgleichen würden. Einen ähnlichen Vorschlag für Deutschland hatten damals die Grünen in Baden-Württemberg gemacht.

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Montag, 10. September 2018
Wahl in Schweden
Gestern war ein sehr schöner Spätsommertag. Ich selbst war erkältet und hörte nur die Kinderstimmen von draußen. Mir gingen einige Romananfänge durch den Kopf, die damit beginnen: "Es war einer der letzten unbeschwerten Sommertage, dennoch lag schon eine gewisse Schwere in der Luft, die auf die kommenden Ereignisse hindeuten sollte..."

Es war auch der Tag der Wahl in Schweden, und mit einer gewissen Spannung habe ich auf den Abend und die Wahlergebnisse gewartet. Die Auszählung verlief sehr spannend. Am Ende war das Ergebnis nicht ganz so schlimm, wie befürchtet, analysierten zumindest die "Tagesthemen". Dennoch hieß es am nächsten Morgen bei tagesschau.de, dass in Schweden eine "politische Zeitenwende" stattgefunden habe.

Ich finde es sehr schwer, eine Position zu bestimmen, wo wir uns befinden. In manchen Aussagen heißt es, wir wären in einer Situation wie in den 1930er Jahren. Vor drei Jahren habe ich auch so gedacht, als ich das erste Mal "Lügenpresse" in der Kirchengemeinde gehört habe. Auch in den Analysen der Wahl in Schweden hieß es unter anderem, dass die politischen Ränder, Schwedendemokraten und Linkspartei, zugelegt hätten - ähnlich wie in der Weimarer Republik.

Immerhin: Auch die Zentrumspartei in der Mitte des Parteienspektrums hat zugelegt. Und die demokratischen Parteien, die den Schwedendemokraten gegenüber stehen, haben 80 Prozent der Stimmen erhalten. Man könnte auch sagen: Das Glas ist halb voll, wir sind nicht in der gleichen Situation wie in den 1930er Jahren. Dennoch scheint eine konfliktreiche Phase in der europäischen Geschichte begonnen zu haben.

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Samstag, 1. September 2018
Die gefährliche Euphorie
Ende 2015 herrschte meiner Ansicht nach eine Euphorie in Deutschland in Bezug auf die Flüchtlingsaufnahme und die "Willkommenskultur": auf einmal wollten alle den Flüchtlingen helfen, nicht nur die "üblichen Verdächtigen". Der Umschwung kam sehr rasant. Mich hat das damals sehr beängstigt, denn: Ich habe Deutschland eigentlich nie als so besonders offenes und tolerantes Land erlebt. Mir hat Angst gemacht, was passiert, wenn es zu den ersten Vergewaltigungen und Todesfällen kommt, ob dann nicht die Stimmung umschlägt und eine nationalsozialistische Strömung die Oberhand gewinnt.

Meine Skepsis wurde damals, Ende 2015, geteilt von anderen Beobachterinnen und Beobachtern von außerhalb Europas, die ich damals zum Jahresende in einer Jugendherberge getroffen habe. Gerade Reisende aus Brasilien, Indonesien und Russland (das natürlich zum Teil zu Europa gehört) äußerten mir gegenüber ihre Besorgnis, ob die Deutschen noch ganz klar bei Verstand wären, dass sie auf einmal jubeln und klatschen, wenn so viele Flüchtlinge ins Land kommen.

Meine Sorge, Deutschland könnte wieder einmal in Folge der Flüchtlingsaufnahme nationalsozialistisch werden, reichte so weit, dass ich kurze Zeit später beschloss, Mitglied der SPD zu werden, um die demokratische Tradition in Deutschland zu stärken. Das hat mich ein bisschen beruhigt. Paradoxerweise haben mich auch die AfD-Erfolge bei den Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl ein Stück weit beruhigt. Meine Befürchtungen, die mir zunächst niemand glauben wollte, wurden dadurch sichtbar. Auf einmal fühlte ich mich nicht mehr allein mit meinen Ängsten.

Jetzt, mit den Bildern von Chemnitz vor Augen, fühle ich mich wieder etwas beunruhigter. Zumal ich immer noch die Diskrepanz verspüre, dass man mit Rezepten, die notwendig gewesen wären um die "Gastarbeiter" der 1980er Jahre zu integrieren, die man aber damals abgelehnt hat - und sich damit dieser Einwanderergeneration gegenüber schuldig gemacht hat -, nun versucht, auf die Flüchtlingszuwanderung zu reagieren. In meinen Augen ist das gefährlich, denn eine Einwanderung auf Grund von Anwerbung ist etwas ganz anderes als eine Einwanderung auf Grund von Flucht vor politischer Verfolgung und Bürgerkrieg. Ich finde das wirklich gefährlich. Integrationskurse wären das richtige für die südeuropäischen und türkischen "Gastarbeiter" gewesen. Für Flüchtlinge wären dagegen psychologische Betreuung und Psychotherapie wichtiger als Integrationskurse, so meine Meinung. Hier wurde von Seiten der Flüchtlingsbefürworter auf schlechte Weise das Argument des Fachkräftemangels mit dem Recht auf Asyl vermischt, was sich in den angewandten Rezepten auf ebenso schlechte Weise widerspiegelt.

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